von Martin Züchner
•
10. Januar 2021
Innerhalb des als „Digitalisierung“ beschriebenen Prozesses taucht immer wieder der Begriff der „Künstlichen Intelligenz“ auf. Ein Paradoxon? Kann Intelligenz, ein Konglomerat von biochemischen Operationen innerhalb eines wie auch immer strukturierten Lebewesens, überhaupt künstlich sein? Ist es nicht per se ein Privileg der „Natur“? Da Menschen seit einigen Jahrhunderten glauben, dass sie der göttlichen Weisung nacheifern, sich „die Erde untertan“ zu machen, glauben wir selbstverständlich an „Künstliche Intelligenz“. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Mikroprozessoren und anderen Schaltkreisen, die Erfindung des Internet und Dominanz von Algorithmen führt zum festen Glauben, nein, zur Gewissheit, dass Maschinen irgendwann sogar die Weltherrschaft übernehmen und uns Menschen nur als Handlanger unterjochen. Noch ist es an der Zeit zu definieren, welche Art von Maschinen wir erschaffen wollen. (1) Dabei sollte es auf einen Konsens hinauslaufen – doch die Debatte darüber ist nur in sehr wenigen Kreisen lebendig. Viele Menschen finden alles, was ihre Bequemlichkeit und ihren Komfort erhöht, erst einmal anziehend und besitzenswert. Bestes Beispiel ist der Erfolgszug des Smartphones seit Ende der Nuller-Jahre dieses Jahrhunderts. Seine Leistungsfähigkeit übersteigt bereits die aller Computer, die im Rahmen der US-amerikanischen Mondmission 1969 eingesetzt wurden. Die Telefonfunktion ist nur ein Artefakt, die manch (junger) Nutzer kaum noch nutzt. Soviel „Fortschritt“ führt jedoch auch dazu, dass wir die Fahrt von A nach B ohne die entsprechende App nicht mehr in der Lage sind zu bewältigen. Kommunikation verändert sich und findet vor allen in den Schaufenstern auf Facebook, Instagram, YouTube und TikTok statt. Wo führt das hin? Eine Konsequenz kann die weitere Verstetigung der Macht in der Hand weniger Internet-Giganten sein, der Verlust staatlicher Präsenz in der Gedankenwelt vieler Menschen und mittel- bis langfristig sogar der Verlust demokratischer Strukturen. Die jüngste Sperrung des Twitter-Kontos des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump ist richtig, doch prinzipiell sollte ein Unternehmen nicht die freie Meinungsäußerung unterbinden können. Eine andere Konsequenz ist die steigende Lethargie der Menschheit aufgrund immer ausgefeilter Strategien der Eintrübung menschlicher Autonomie und Handlungsfähigkeit. Wenn ich im Haushalt (fast) sämtliche Arbeiten durch Maschinen erledigen lasse, in der Arbeit der Großteil meiner Tätigkeiten durch Computer oder Roboter übernommen werden, dann bleibt für mich als Mensch nur noch eine randständige Rolle. Unterhaltung und Freizeit werden zum Hauptinhalt meiner Existenz. Neil Postman schrieb 1988 "Wir amüsieren uns zu Tode". Doch evtl. werden Menschen auch gesünder (Stichwort „Arbeit macht krank“), leben länger und erfreuen sich finanziell einer abgesicherten Existenz, dank Grundeinkommen. Doch wozu werden sie denn dann noch gebraucht? Nein, Computer, Roboter und jedwede andere Maschine müssen Helfer*innen sein. Sie sind Untertan des Menschen. Das setzt der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ein klares Stopp-Schild: keine sich selbst weiter entwickelnde Maschinenwesen, die auch die die kleinste Möglichkeit nutzen, absichtsvoll Menschen Schaden zu zufügen – selbst dann nicht, wenn es dem Schutz der Umwelt dienen würde. Militärische Drohnen, die selbst entscheiden, ob und wann sie einen Konvoi in einem dicht bebauten Gebiet beschießen, darf es nicht geben. Computer, die darüber entscheiden, ob ein Asylantrag beschieden wird, darf es nicht geben. Ähnlich gelagert ist der Fall des Algorithmus des USA, der aktuell entscheidet, wer Vorrang bei der Corona-Schutzimpfung haben sollte. Aufgrund falscher Grundannahmen waren darunter nur wenige Ärzte oder medizinisches Personal (2). Chat-Bots, die aus eigenen Erkenntnissen heraus, Tweets verfassen, darf es nicht geben. Hier ist das berühmte Beispiel von Microsofts Versuch „Tay“ zu nennen, der nach nur 16 Stunden Leben auf Twitter wieder abgeschaltet wurde. Er begann bald nach Geburt damit anzügliche und beleidigende Tweets zu verfassen. (3) Diese Liste ließe sich fortsetzen. „Ich denke, wir sollten den Kosmos nicht mit den Augen des Rationalisierungsfachmanns betrachten. Verschwenderische Fülle gehört seit jeher zum Wesen der Natur.“ Albert Einstein Denn es gibt entscheidende Unterschiede zwischen „künstlicher“ und humaner Intelligenz. Einer ist das Vorhandensein von Emotionen. Menschen tun Dinge auf Basis ihres Willens. Willensbildung ist ein komplexer Prozess, der auf zahlreichen emotionalen und rationalen Faktoren beruht. Maschinen hingegen haben keine Willensbildung. Es gibt keine Formel, keinen Algorithmus, der diesen Prozess abbilden könnte. Zumindest nicht unter Bedingungen, dass für Menschen nachvollziehbar ist, warum die Maschine so entscheidet. Daher ist eine solche Technologie auch nicht wünschenswert. Wir verlieren die Kontrolle über die Folgen. Wer ist dann verantwortlich, wenn eine Militär-Drohne einen kleinen fünfjährigen Jungen tötet, weil dieser mit einem Kunststoffgewehr spielt? Was soll ein „selbstfahrendes“ Auto tun, wenn es im dichten Stadtverkehr entscheiden muss, ob es die Seniorin mit Rollator umfährt oder besser in den Eisstand, der links auf dem Gehweg mit zahlreichen jungen Menschen für Erfrischung sorgt? Das selbstfahrende Auto ist im Übrigen das beste Beispiel für die Grenzen „künstlicher Intelligenz“. Es wird erfunden auf dem rasterförmigen Verkehrsnetz nahe Palo Alto, im sonnigen Silicon Valley. Doch die Realität in den Gassen Sevillas oder dem Straßen Bombays sieht anders aus. Das selbstfahrende Auto „kommt“, so die Überzeugung. Auch für „fortschrittliche“ Politiker*innen ein Mantra. Doch „kommen“ sollte nur das, was erwünscht und (!) ermöglicht werden soll. Es muss die beste Idee unter allen Ideen sein – ökonomisch und (!) sozial. Doch die Verwechselung von Innovation und Fortschritt ist allgegenwärtig. Spannend ist ja, dass in sog. „Ethik-Kommissionen“ keine technikfeindlichen Personen sitzen – weshalb solche Kommissionphilosophen auch nur deshalb in die Kommission berufen werden. Voll automatisierte Kfz sind nicht die beste Verkehrslösung für hochverdichtete urbane Räume. Wo bleibt die Mobilitäts-Disruption? Warum schreiben wir eine Art der Mobilität fort, die uns durch seinen Platz- und (dann auch) Datenbedarf vor große Probleme stellt. Wie der britische Technikphilosoph David Collingridge bereits vor rund 40 Jahren erkannte, kann es passieren, dass wir nach der Einführung des „autonomen Fahrens“ und Umrüstung unserer Städte bemerken, dass uns mehr Probleme entstehen als Nutzen (4). Natürlich ist die Energie eines Atomkraftwerks erst einmal eine feine Sache, doch was machen wir mit dem Atommüll? „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG), Artikel 1, Absätze 1 und 2 Das selbstfahrende Auto ist keine Technik, die auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (und wahrscheinlich Verfassungen vieler anderer Länder dieser Erde) etabliert werden kann. Im Utilitarismus wird es als nützlich betrachtet, denn Menschenwürde gibt es in dieser Denkschule nicht. Entgegen Artikel 1 GG sollen Robo-Fahrzeuge selbst entscheiden, wie sie sich in der einen oder anderen Situation verhalten sollen. Dabei sind utilitaristische Nützlichkeits-Überlegungen vorrangig. Tatsächlich gibt es im Flugverkehr bereits im sog. TCAS (= Traffic Collision Avoidance System) die Regel, dass jenes Flugzeug beschädigt werden darf, dass weniger Passagiere an Bord hat. Was ist, wenn in einem Fahrzeug der Bundespräsident sitzt und in einem anderen eine fünfköpfige Familie? Gilt eine solche Regel dann auch oder gibt es „Ausnahmen“? Dieses Beispiel macht deutlich, es kann keine ethische Gleichheit geben und die Verfassung wird missachtet. Leben kann nicht verrechnet werden. Die Gesellschaft kann es auch nicht entscheiden, ob ein solches System wünschenswert wäre. Natürlich könnte sie dann erst mal das Grundgesetz ändern – doch mit welchen Folgen für menschliches Leben? Daher sind selbstfahrende Fahrzeuge bestenfalls eine Lösung für Autobahnen und Bundesstraßen ohne Randbebauung, also überall dort, wo die Fahrzeuge unter sich sein können. Für urbane Gebiete sollten wir über ein Zufahrtsverbot nachdenken wie es bereits häufig für Lastkraftwagen existiert. Aus diesem Grund untersagt die Ethik-Kommission jede Verrechnung von Menschenleben, in der neunten Regel ihres Berichtes von 2017 (5). Damit ist der erste Angriff der Utilitaristen erst einmal abgewehrt. Doch für wie lange? Es gibt sie noch die Chance für ein humanes Leben. Wir müssen sie nur entdecken - wie einst die Mumins, die im Kinderbuch "Winter im Mumintal" entgegen ihrer Gewohnheit zur führ aus dem Winterschlaf erwachen: sie entdecken eine Welt faszinierender Wesen, die Ihnen bislang unbekannt war. Hoffen wir, dass wir rechtzeitig erwachen! Anmerkungen / Quellen: 1 Die folgenden Überlegungen wurden inspiriert und basieren weitestgehend auf denen von Richard David Precht in seinem empfehlenswerten Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“, erschienen im Goldmann-Verlag im Jahr 2020, insbesondere ab Seite 182 („Algorithmus des Todes“). 2 https://www.sueddeutsche.de/digital/usa-palantir-corona-impfung-diskriminierung-kapitalismus-1.5158261 3 https://de.wikipedia.org/wiki/Tay_(Bot) 4 David Collingridge, The Social Control of Technology, Palgrave Macmillan, 1981 5 Quelle: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/bericht-der-ethik-kommission.pdf?__blob=publicationFile, Seite 11 Foto: Gerd Altmann auf Pixabay